Schlachtfeldarchäologie

 

Archäologische Forschungen

in Meldorf

und

auf dem

Hemmingstedter Schlachtfeld

von

Ullrich Masemann

Einleitung

Die Quellenlage der Archäologie erlaubt es selten, Befunde konkreten Situationen zuzuordnen, die ausschnitthaft überregional bedeutende Ereignisse oder Tendenzen mitteilen. Das liegt zum einen an der Art der archäologischen Quelle – so sind von aufständischen Bauern keine charakteristischen Wehrbauten errichtet worden – und zum anderen an der Seltenheit und Schwierigkeit, Reste von Schlachten und Schlachtfeldern zu lokalisieren und archäologisch zu untersuchen.
Nicht nur für Dithmarschen ist es ein Sonderfall, daß in zwei Grabungskampagnen des Heider Museums im Jahr 1996 Befunde der Zeit um 1500 erforscht werden konnten. Es handelt sich um die Ausgrabung an der Stadtbefestigung von Meldorf und um die archäologischen Forschungen auf dem Schlachtfeld der Schlacht von Hemmingstedt, die am 17. Februar 1500 zwischen Meldorf’ und Hemmingstedt stattfand. – Die Grabungen wurden mit der Förderung der Arbeitsverwaltung durch das Museum für Dithmarscher Vorgeschichte und dem Verein für Ausbildungs- und Arbeitsstätten Dithmarschen e. V. (VAAD) ausgeführt.

Die Ausgrabungen in Meldorf

Die historischen Bildquellen des 16. und 17. Jhs. von Meldorf zeigen für den Ostbereich des mittelalterlichen Stadtkerns eine Stadtbefestigung mit Wall und Tor (Abb. 1). Auf dem historischen „Abriß“ Meldorfs von Johannes Meyer aus Danckwerths Landesbeschreibung von 1652 soll das Osttor, die „porta holsatia“ des Daniel Frese aus Braun und Hogenbergs Städtebuch von 1598, im Zustand der Zeit um 1500 dargestellt sein. Hat sich auch Meyer wahrscheinlich in manchen Punkten an der Ansicht Freses orientiert, so zeigen sich doch einige wichtige unterschiedliche Details, die auf eine Darstellung verschiedener Ausbauphasen verweisen. Bei Meyer fehlt ein direkt nördlich an das Holstentor anschließendes Anwesen, welches Frese noch darstellt. Besonders im Südosten und Südwesten finden sich bebaute Stadtbereiche, die auf der Ansicht Freses noch Ackerland waren. Somit mögen sich die Hauptgebäude der Stadt (Kirche, Kloster, Stadttor) auf die angegebenen historischen Zeiträume beziehen.

Abb. 1: Ausschnitt einer Darstellung Meldorfs des Dithmarschers Daniel Frese um 1560, Ansicht von Süden.

Sicherlich stellen beide Ansichten verschiedene Entwicklungsstadien aus der Zeit um 1598 bzw. 1652 dar. Diesen stadtgeschichtlichen Entwicklungen nachzugehen, bleibt im wesentlichen der Archäologie vorbehalten, da nur die historischen Bodenquellen neue, detaillierte Erkenntnisse erwarten lassen.

Das befestigte Meldorf

Die Schriftquellen zur Meldorfer Stadtbefestigung sind recht spärlich. Nach Kamphausen und Dahlmann ist die Erstbefestigung Meldorfs in die Jahre 1511 oder 1516 zu setzen(2).  Nach Danckwerths Ausführungen, die von R. Hansen stark bezweifelt werden, war Meldorf schon im Jahr 1500 befestigt. Auch die Bezeichnung Meldorls als „Vestung“, die von Neocorus und Danckwerth gebraucht wird, weist Hansen als kaum zutreffend bzw. stark mißverständlich zurück. Die Aussage des Zeitgenossen Albert Krantz, Beobachter der Schlacht bei Hemmingstedt, daß Meldorf von den Einwohnern unachtsam befestigt worden sei, und die des Neocorus, daß keine Wälle und Gräben bestanden haben, hält Hansen für glaubwürdig. So kommt er zu dem Schluß, daß Meldorf um 1500 nicht befestigt gewesen sei (3).

Ausgrabungen in der Zingelstraße 47 in Meldorf im Jahre 1993

Nach dem Brand des Bahnhofshotels im Oktober 1992 war es möglich, in diesem Bereich eine kleine Notgrabung durchzuführen. Nach dem Trede-Stadtplan von 1849 wären nach dieser Zeit im Kernbereich des späteren Bahnhofshotels keine weiteren Bodeneingriffe geschehen. Daher war es wahrscheinlich, ungestörte Befunde zumindest aus dem 18. Jh. freizulegen. Nach den schriftlichen Quellen und den publizierten Berichten zur Stadtbefestigung muß im Bereich Zingelstraße 47 das Osttor gelegen haben. Goos (4) erwähnt in seinem grundlegenden Aufsatz. von 1902, daß „gerade vor dem jetzigen Bahnhofshotel“ das Stadttor des 16. Jh. gelegen habe. Er bezieht sich dabei wahrscheinlich auf eine im Stadtarchiv Meldorf‘ verwahrte kolorierte Zeichnung aus dem 19. Jh. (Abb. 2). Dort ist ein Fundament in Höhe der Westseite der ehemaligen Bahnhofsstraße in etwa der Straßenmitte zu erkennen.
Goos hat jedoch in seiner Handskizze im o. g. Aufsatz bis mindestens an die Stadthausfront des Bahnhofshotels gezeichnet. Daher schien es notwendig, vor einer eventuellen Neubebauung besonders den Bereich parallel der Zingelstraße archäologisch zu untersuchen und die Befunde wissenschaftlich zu dokumentieren.

Zur Kleintopographie dieses Bereiches liegen wenige Schilderungen und einige Darstellungen vor. So vermutet Goos aufgrund der Schilderung der Eroberung Meldorfs 1559 und durch das Auffinden sog. Kirchensteine – wahrscheinlich Klosterformatsteine – im Bereich der Bahnhofsstraße, daß nahe des Osttores eine gemauerte Stadtmauer anschloß. Im Nordbereich vermutet er einen Holz-Erde- Wall, der in Richtung Osten in Form einer Wehrschanze abknickte und so einen besseren Schutz des Stadttores ermöglichte. Auf den beiden Abbildungen des 16. Jhs. ist jedoch zweifelsfrei ein Torhausbau zu erkennen. Welche Baukonstruktion die ans Tor anschließenden Wehrbauten hatten, ist nicht auszumachen. Wichtig für die Stadtgeschichte sind die Baubeobachtungen, die Nissen seit Jahrzehnten im Stadtbereich durchführte. In diesem Zusammenhang interessiert besonders eine Beobachtung bei Kanalisationsarbeiten im Bereich der Zingelstraße. Nissen stellte etwa in Höhe der einstigen Tordurchfahrt des Bahnhofshotels Findlingssetzungen im Straßenbereich fest. Sie liegen somit ca. 12 m östlich der im 19. Jh. beobachteten (Tor-) Fundamente. Weitere wichtige Informationen werden noch in den Akten des Stadtarchivs verborgen sein (5). Erwähnt sind im Jahr 1621 ein Tor am Stadtgraben und 1654 eine Reparatur am alten Zingelgraben, der bisher immer in Höhe der heutigen Bahnlinie vermutet wurde. Wie stark sich das Gelände im Laufe der letzten Jahrhunderte verändert hat, zeigt ein Bericht eines ungenannten Autors im Meldorfer Wochenblatt von 1854: „Je mehr in den letzten Jahren durch die Anlage und durch die Pflasterung des Weges nach Nindorf die Bodenverhältnisse in der nächsten Umgebung des Ortes verändert, und manche kleine Unebenheiten verschwunden sind, wie z. B. … der tiefe Weg am Armenhause, um so mehr dürfte es an der Zeit sein, den Freund der heimischen Geschichte einmal zu erinnern, in welcher mächtigen Umgestaltung der Flecken gegenwärtig begriffen ist, und daß mit dem für das Auge widerwärtigen und Unzweckmäßigen auch Haltepunkte für die Geschichte vernichtet werden.“

 

Abb. 2:
Ausschnitt einer Darstellung Meldorfs mit im späten 19. Jh. aufgefundenen Stadttorfundamenten, Ansicht von Norden.

 

Der Aufbau der Erdschichten

Die Höhe des heutigen Bereichs Zingelstraße 47 beträgt ca. 4,5 m über dem Meeresspiegel. Somit liegt dieser Bereich knapp 10 m unter dem Bodenniveau des Meldorfer Domes. Nach dem Abriß des Bahnhofshotels und dem Abtransport der Schutthalde traten mehrere Erd- und Schuttschichten zutage. Im Profil des ehemaligen Bierkellers des Hotels war zu sehen, daß die oberste Schicht – bestehend aus Backsteinbruch von Klosterformat – spätestens beim Bau des Vorgängerbaues des Bahnhofshotels um 1800 gekappt worden war. Daher ist diese „Backsteinschicht“ nur in Bereichen erhalten, wo sie zur Auffüllung von tieferen Unebenheiten gebraucht wurde. Funde aus dieser oberen Backsteinschicht deuten auf eine Entstehung im 17. Jh. hin. Darunter erscheint eine dunkelbraune fundleere Erdschicht, unter der sich eine weitere Backsteinschicht aus gut erhaltenen Klosterformatsteinen befindet. Nach den Ausmaßen dieser Steine, die gleich groß sind wie die Backsteine der oberen Schicht, dürften diese Steine im 15. Jh. produziert worden sein. Die kleinsten Backsteine der Süderhalle des Meldorfer Domes, die im letzten Viertel des 15. Jh. erweitert bzw. errichtet wurde, haben die gleichen Maße wie die,
die in der Zingelstraße 47 gefunden wurden. Diese Datierung ist sehr gut. mit den Schriftquellen in Einklang zu bringen, da für 1511 die Errichtung der Meldorfer Stadtbefestigung bezeugt ist und auch in dieser Zeit mit dem Bau des Stadttores zu rechnen ist. Unter der zweiten Backsteinschicht verlaufen zwei dunkelbraune Erdschichten mit Gefälle nach Westen und Norden. Die darunter liegenden schwarzbraunen Schichten laufen in den untersuchten Bereichen weitgehend horizontal.
Hierbei handelt es sich, wie bei den beiden darüberliegenden Fundschichten, um mittelalterliche Auftragsschichten. Der Verlauf zeigt, daß im nördlichen Bereich der untersuchten Fläche in zwei Zeitphasen (wahrscheinlich des Mittelalters) eine nicht exponierte Position des Geländes bestand. Danach wurde das Gelände, wohl noch im Mittelalter, erhöht, bevor es zum Bau des frühneuzeitlichen Stadttores kam. Der anstehende Boden wurde im Nordbereich der Ausgrabungsfläche bei ca. 1,5 m über dem Meeresspiegel erreicht. In mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schichten wurden auch erstmals steinzeitliche Funde entdeckt (ein Bruchstück einer Feuersteinklinge, ein Klingenkernabschlag und mehrere Flintabschläge, die bei der Herstellung von Steinwerkzeug entstanden).

Der Ausgrabungsschnitt parallel zur Zingelstraße

Um möglichst die Fundamente des um 1511 errichteten Stadttores im Ausgrabungsschnitt zufassen, wurde eine Grabungsfläche (Abb. 3 u. 4) längs der Zingelstraße angelegt. Wie sich bald zeigte, hatte das ehemalige Bahnhofshotel alle Erdschichten der Zeit um 1800 vor Zerstörungen bewahrt. Durch Auffinden eines Fundamentplanes, der in der zweiten Hälfte des 19. Ih. während einer Baubeobachtung entstanden war und Backsteinfundamente unter der heutigen Zingelstraße zeigt, muß angenommen werden, daß es sich hierbei um Fundamente des ehemaligen Stadttores handelt. Diese Fundamente lagen außerhalb der Ausgrabungsfläche.
Beim Abtiefen der Grabungsfläche ergaben sich, neben Resten einer kleinen Abfallgrube der Zeit um 1700 (Abb. 4,7), überraschend zwei wichtige Befunde. Im Ostteil des Grabungsschnittes wurden die Reste eines Feldsteinkellers freigelegt. Solche relativ aufwendigen Kellerbauten sind bisher nur im zentralen mittelalterlichen Stadtgebiet bekannt, so z.B. im ehemaligen Gefängnis in der Klosterstraße 30. Durch die Ausfüllung der Zwickel zwischen den Feldsteinen mit kleinformatigen Backsteinen muß man von einer Entstehung im 17. oder 18. Jh. ausgehen. Neben vielfältigem Fundmaterial in der Kellerverfüllung des 18. Jh. wurden im Nordostteil noch der aus Backsteinen bestehende Kellerfußboden und Reste eines Treppenaufganges in nördliche Richtung angetroffen. Hier treten auch mehrere Bauphasen des Kellers zutage. So wurde der Backsteinfußboden (Abb. 4,5) nur im Kelleraufgangsbereich unter die aus Findlingen bestehenden Seitenwände des Kellers verlegt. Die Treppenabsätze, die aus kleinen, in Mörtel verlegten Feldsteinen bestehen, wurden in einer Renovierungsphase mit Backsteinen verstärkt (Abb. 4,6). Wie sich später zeigte, war dieser Feldsteinkeller in die Verfüllung eines Grabens gemauert worden. Die jüngere Wehrgrabenphase wurde in einer Breite von 8,5 m erfaßt (Abb. 4). Im Ostbereich konnte der Graben nicht vollständig dokumentiert werden, da er durch den Feldsteinkellereinbau und durch neuzeitliche Kanalisationsarbeiten gestört war. Beim Abtiefen des Grabens in Schichten von 50 cm konnten bei einer Höhe von 3 m ü. NN. Holzmulmreste von vergangenen Pfosten freigelegt werden. In tieferer Lage traten kompakte Holzpfosten zutage (Abb. 4,3).

Abb. 3: Meldorf LA 9, Kr. Dithmarschen. Übersichtsplan der Ausgrabung Zingelstraße 47 von 1992/93. M. 1:500. Stadtplan Meldorf, M. 1:10000.

Von diesen sechs in Reihe gesetzen Holzpfosten konnte der südlichste Pfosten dendrochronologisch in den Winter 1473/74 datiert werden (7). Das Grabenprofil (Abb. 5) ließ m Befestigungsgraben mit zwei Bauphasen erkennen. War beim jüngeren Graben die  Westböschung mit einer Reihe aus Eichenpfosten (Abb. 5,3) befestigt, so war der ältere nur mit einer Sodenpackung (Abb. 5,2) ausgestattet. Die Soden konnten bis 0,9 m ü. NN beobachtet, jedoch nicht vollständig gezeichnet werden. Aus der älteren Grabenphase wurden keine Funde geborgen. In der Verfüllung des jüngeren Grabens traten hauptsächlich nur Klosterformatsteine und Dachziegel zutage; auf der Grabensohle fand sich eine weißgraue Scherbe Siegburger Steinzeugs mit dick aufgetragener, rötlich geflammter Lehmglasur. Auf dem Gefäß auch sind zwei Medaillonauflagen, die stehende spätgotische Madonnen mit Kind darstellen (Abb. 6).

Von den Befunden her läßt sich folgende Chronologie ableiten:

Phase 1: Graben, mit Sodenpackung befestigt (Abb. 4,1 u. 5,1)
Phase 2: Graben, mit Eichenpfosten befestigt (Abb. 4,2-3 u. 5,2-3}
Phase 3: Feldsteinkellerwände (Abb. 4,4)
Phase 4: Feldsteinkellertreppe mit Backsteinfußboden (Abb. 4,5)
Phase 5: Renovierung der Feldsteinkellertreppe (Abb. 4,6)
Phase 6: Reste einer Abfallgrube (Abb. 4,7)
Phase 7: Eintiefung zweier gemauerter Pfeiler in die Verfüllung des Feidsteinkellers  (Abb, 4,8)
Phase 8: Erste Bauphase des Vorgängerbaues des späteren Bahnhofshotels, welches im Trede-Stadtplan von 1849 schon besteht (Abb. 4,9).

Hervorzuheben ist, daß die in der Mitte des 19. Jhs. beobachteten Torfundamente im Zingelstraßenbereich nicht zum älteren Graben gehören können. So müßte einige Meter weiter westlich ein weiterer Torbau des 15. Ihs. (oder älter) gestanden haben.

Weitere Fragen treten durch die Ergebnisse der Ausgrabungen auf: Bestanden die  palisadenartigen Holzeinbauten nur im unmittelbaren Bereich des Tores? Wie ist das zeitliche Verhältnis von jüngerem zu älterem Wehrgraben? Wie lassen sich die früheren Baubeobachtungen mit den Ausgrabungsergebnissen in Einklang bringen?  – So ist der entdeckte Feldsteinkeller Mindestens zweimal erweitert worden.
Wahrscheinlich wurde in der 1. Hälfte des 17. Jh. ein Stufenausgang in der Nordostecke geschaffen. Reichte das Gebäude einst bis in den Zingelstraßenbereich, wie es die Baubeobachtungen durch Nissen aus den 60er und 70er Jahren nahelegen? Wo lag das Tor, das noch 1741 bezeugt wurde, wo der „alte Zingelgraben“, der 1621 noch repariert wurde? Dieser Graben wurde bisher in Höhe der heutigen Bahnlinie vermutet. Gab es ein Grabensystem von mehreren gleichzeitigen Wehrgräben? Dies sind Fragen, die in weiteren Forschungen beantwortet werden sollten. Durch die Aufarbeitung stadtgeschichtlicher Schriftquellen und die Durchführung neuer Ausgrabungen könnten Erkenntnisse gewonnen werden, die keine Disziplin allein erreichen könnte.

 

 

Die Ausgrabungen 1996

Vom 09.04. bis zum 01.07.1996 wurde eine zweite Grabung an der ehemaligen Stadtbefestigung Meldorfs durchgeführt, nachdem bei der Ausgrabung 1993 überraschend ein spätmittelalterlicher Wehrgraben auf zwei Meter Breite freigelegt wurde und das Fälldatum eines angespitzten Eichenpfahles durch die Jahrringanalyse (Dendrochronologie) auf den Herbst des Jahres 1472 festgelegt werden konnte.

Abb. 6: Meldorf LA 9. Siegburger Steinzeug mit Madonnenmedailfons (um 1500). Foto: U. Masemann

Im Mittelpunkt der weiteren Forschungenstanden standen die Feststellung des Grabenverlaufes, die Datierung der Kulturschichten, die bestanden, bevor der Wehrgraben erbaut wurde und die Frage nach einer schriftlich bezeugten Wehrschanze im Nordbereich
des Grabungsareals.
Vorläufige Erkenntnisse bieten bisher die Datierungen der Fundschichten vor der
Erbauung der Stadtbefestigung. So weisen Funde aus der untersten Fundschicht,
die auf dem anstehenden Sand liegt, auf eine Entstehung im 11. oder 12. Jh. hin
(Keramiktyp: weiche Grauware), die oberste Fundschicht enthält Keramik der Zeit
um 1250 bis um 1350 (Keramiktyp: harte Grauware mit Furchenstichverzierung,
die hauptsächlich vergesellschaftet ist mit leistenverzierter harter Grauware).

Ferner ist bisher der Grabenverlauf der Stadbefestigung auf 26,5 m Länge festgestellt
worden. Der Wehrgraben verläuft nordöstlich vom Zingelstraßenbereich.
Somit ist die Existenz einer spätmittelalterlichen-frühneuzeitlichen Schanze in diesem Bereich wahrscheinlicher geworden.
Als bisher einzigartiger Befund in Dithmarschen ist ein Faßbrunnen (8) des 16. Jhs. anzusehen. In die Grabenverfüllung der Stadtbefestigung wurde vor der vollständigen Einebnung des Grabens ein Brunnen abgetieft (Abb. 7).

 

Abb. 7: Meldorf LA 9. Wehrgraben mit Palisadenresten und Faßbrunnen. Ansicht von
Nordwesten.

Die Technik des Faßbrunnenbaues ist eine Iypisch mittelalterliche Bauform. In vielen mittelalterlichen Hansestädten sind solche Konstruktionen schon archäologisch dokumentiert worden.
Auf dem Gelände Zingelstraße 47 wurden bisher drei Brunnen entdeckz und ergraben. Der älteste ist ein Faßbrunnen des 16. Jhs. und befindet sich etwa 6 m von der Straßenfront entfernt. Ein jüngerer Brunnen des 18. Jhs. ist etwa 12 m von der Straße entfernt und besitzt eine aufwendige Eichenbohlenkonstruktion, auf der der Ziegelsteinring des Brunnens stand. Dieser Ziegelring ist nach Aufgabe des Brunnens im späten 18. Jh. entfernt worden. Der jüngste Brunnen aus dem 19. Jh. fand sich etwa 25 m von der Straßenfront entfernt unter dem ehemaligen Waschküchenkeller des Bahnhofhotels.

Mit der Ausgrabung konnte erstmals ein Gesamtprofil (Abb. 8) des Meldorfer Stadtgrabens aus der Zeit kurz nach 1473 erstellt werden

Abb. 8. Meldorf FA 9. Profil der Ausgrabung 1993. Im Ostbereich des Grabens steht
der geschnittene Faßbrunnen. Ansicht von Süden.

 

Archäologische Befunde zur Schlacht bei Hemmingstedt

Vor knapp 500 Jahren tobte bei Hemmingstedt eine Schlacht zwischen den Dithmarscher Bauern und einem Heer des dänischen Königs. In Dithmarschen gilt noch heute dieses Ereignis als Beginn „Ihrer Freiheit“. Die Toten der Schlacht wurden in Massengräbern verscharrt – eines davon wurde im Jahr 1996 archäologisch untersucht.

Der Ausgang der Schlacht bei Hemmingstedt gibt Historikern immer noch Rätsel auf. Die gewaltige Übermacht des Heerzuges bestand nicht nur aus einem Aufgebot des dänischen Königreiches und des Schleswig-Holsteinischen Herzogtumes sondern auch aus hunderten norddeutschen Adligen nebst Gefolge, die sich eigens diesem Heerzug angeschlossen hatten. Zudem wurde noch die „Schwarze Garde“, ein kampferprobtes Landsknechtsheer, für den Kampf gegen Dithmarschen verpflichtet.

Nach der Eroberung und Plünderung Meldorfs am 13.02.1500 setzte sich der Heerzug am 17.02.1500 in Richtung Norden in Bewegung (Abb. 9). Auf der alten Landstraße von Meldorf über Hemmingstedt nach Heide kam es zueiner sonst nur im Gebirge möglichen „Paßschlacht“. Da die Dithmarscher die Siele des drei Kilometer entfernten Seedeiches geöffnet hatten, füllte die hereinströmende Mittagsflut die Gräben. Unter den im Schlamm und Wasser versinkenden Angreifern entstand panikartige Verwirrung. Wer nicht fliehen konnte, wurde niedergemetzelt.
Die rund 2.000 gepanzerten Reiter sowie die 5.000 Mann starke Landwehr blieben auf dem Straßendamm eingeschlossen, Die Entscheidung fiel zwischen der 4.000 Mann starken, im Marschkampf erfahrenen Ländsknechtstruppe der „Schwarzen Garde“ an der Spitze des Invasionsheeres und der ständig von Norden nachrückenden Besatzung einer über Nacht von den Bauern aufgeworfenen Schanze.

Abb. 9: Der Feldzug und Kriegsplan Johanns I. von Dänemark gegen Dithmarschen
von 1500. M. etwa 1:270000.

Nachdem die Kanonenschüsse der Dithmarscher den Heerzug gestoppt hatten, kam es vorder Schanze zu einem heftigen Kampf zwischen ausfallenden Dithmarschern und angreifenden Landsknechten. Erst beim dritten Ausfallversuch gelang es den Bauern, die Garde in die Flucht zu schlagen. Sie kämpften mit Spieß, Messer, Schwert und „Fausthammer“ oder schossen mit Armbrust oder Hakenbüchse. Ihnen half ihre Geländekenntnis; beim Übersetzen über die Gräben benutzten sie ihre Spieße als Springstöcke. So richteten sie in der festgekeilten Heerschlange ein Blutbad mit  etwa 3.000 bis 4.000 Toten an.
Von diesem Schlachtgeschehen existierten außer bei einem Pipelinebau im Jahre 1944 von einem russischen Kriegsgefangenen gefundene Tier- und Menschenknochen noch keine archäologischen Befunde.

Abb. 10: Epenwöhrden LA 3, Kr. Dithmarschen. Ausgrabungsfläche westlich der Land-
Straße, im Hintergrund liegt die Dusenddüwelswarf. Ansicht von Süden.

 

Die Lage des Grabungsschnittes wurde mit Hilfe der Angaben aus dem Fundbericht Matzen gewählt. Wichtig war die Mitteilung, daß der Fundort gegenüber einer Tränkstelle an der Westseite der Landstraße liege. Der Testschnitt hatte eine Länge von 6,5 m und eine Breite von 2,9 m und wurde zwischen dem zur Straße parallel laufenden Wassergraben und der Straße angelegt (Höhe ü. NN: 2,02 m – 2,04 m; Koordinaten: Hoch 59.98.75 Grad, Rechts 35.03.52 Grad) (9).

 

 

Abb. 11: Epenwöhrden LA 3. Fund eines Pferdeskeletts und menschlicher Schädel. Ansicht
von Süden.

 

Die am 01.07.1996 begonnene Ausgrabung galt – nach Aushebendes Testschnittes von 1995 – der vollständigen Freilegung des sogenannten „Reitermassengrabes der Schlacht von Hemmingstedt“ (Abb. 10). Die Grabgrube ist in den Ausmaßen von 0,6 x 2,4 m erfaßt, sie war 0,35 m unter der heutigen Oberfläche eingetieft worden (1,67 m ü. NN.) Die Knochenlagen begannen ab 1,54 m unter der heutigen Oberfläche (0,48 m NN) und beinhalteten im ersten Planum ein nahezu vollständig erhaltenes Pferdeskelett sowie vier menschliche Schädel (Abb. 11). Walther Lammers erwähnt in seiner Schlachtanalyse die unterschiedliche Bestattung der Gefallenen der Schwarzen Garde: „Während den Fußknechten ein rasches Grab auf dem
Schlachtfeld bereitet wurde, blieben die Leichname der gefallenen Ritter unter freiem Himmel nackt und geplündert im Morast liegen, ein Raub für Raben und Hunde.“  Bei dem vorliegenden Befund ist eindeutig festzustellen, daß der Tierkadaver noch im Zusammenhang bestattet wurde. Auch ein Schädel zeigt anhand der Lage des Unterkiefers deutlich, daß der Schädel noch nicht skelettiert war, als er bestattet wurde. Gleiches gilt für acht Wirbelsäulen, die noch in situ freipräpariert werden konnten. Da die Grabgrubenmaße eher typisch sind für eine Einzelbestattung sind, ist bei einer Schichtung von mindestens zehn menschlichen Skeletten und einem Pferdeskelett mit starken postmortalen Lageveränderungen zu rechnen.

 

Abb. 12: Epenwöhrden LA 3. Skelett Nr. 10, Von der Stirn zum seitlichen Schädelbereich geführte Hiebspuren

 

Bei den sechs menschlichen Schädeln, die ausgegraben werden konnten, sind starke Verletzungen sichtbar (Abb. 12). Die Schädelknochen weisen zum Teil sehr starke Beschädigungen auf, die anscheinend auf Hieb- (Schwert) und Stichwaffen zurückzuführen sind; zum Teil sind die Schädel anscheinend durch Schwerthiebe geradezu gespalten worden. Bei einem Skelett sind an der linken Seite des Schädels zwei scharfe Einschnitte zu sehen, die bis zur Mitte des Hinterhauptes reichen (Abb. 13).
Der Schädel wurde durch die Hiebe seitlich regelrecht gespalten. Die Waffe drang tief in das Gehirn und bewirkte den sofortigen Tod. Unmittelbar im Wirbelsäulenbereich des Getöteten fanden sich die einzigen Bekleidungsreste. An fünf großen Lederresten mit den Ausmaßen von 32 x 28, 21 x 15, 25 x 22, 25x 23 und 21x 7cm sind 2 Knopfbänder, 1 Knebelknopf, 2 Knopflöcher, 8 Nähte, 10 Schnittkanten und ein Schnitt von etwa 4 cm Länge zu erkennen.

Abb. 13: Epenwöhrden LA 3. Skelett Nr. 10 mit Lederresten der Bekleidung.

 

Dieser Einschnitt könnte auch ein Hinweis auf eine Verletzung im Körperbereich sein. Eine Rekonstruktion zu einem Koller, der typischen Lederoberbekleidung der Landsknechte im 16. Jh., ist noch nicht möglich, da eine detaillierte Auswertung des Schnittmusters, die eventuell zur einer Datierung des Gesamitgrabes führen könnte, erst in den Anfängen steckt.

Nachgrabung der Kamphausen-Schnitte von 1949

Im April 1997 wurde eine kurzzeitige archäologische Grabung im Bereich der von A. Kamphausen vermuteten Schanze der Dithmarscher Bauern durchgeführt (Abb, 14). Kamphausen konnte seinen entdeckten Graben nicht datieren.

Abb. 14: Hemmingstedt LA 140, Übersicht der Ausgrabungen im April 1997. M. 1:500.

Daher war es sinnvoll, falls der Graben überhaupt existierte, dies mittels einer neuen Grabung zu überprüfen. In sechs Grabungsschnitten wurde versucht, den von Kamphausen publizierten Graben zu lokalisieren. In drei Suchschnitten wurde ersichtlich, daß der Verlauf des Grabens mit den von Kamphausen gemachten Beobachtungen im Wesentlichen übereinstimmt. Auch ein Suchschnitt (Schnitt 6) direkt westlich der Alten Landstraße ergab einen Grabenbefund. Somit ist wahrscheinlich, daß dieser Graben unter der heutigen Straße entlangführt und nach Süden abknickt, da der Graben an der gegenüberliegenden östlichen Straßenseite nicht im Profil erscheint.
Großflächige Bohrungen des westlich und östlich der Alten Landstraße liegenden Areals haben ergeben, daß ein weiterer Graben, welcher Schilf- und andere organische Reste enthält, auch auf der Weide östlich der Alten Landstraße zufinden ist. Das aus der Grabenverfüllung gewonnene Fundmaterial war gering. In Schnitt 6 fanden sich im zweiten Abtrag einige Eisen- und Knochenfragmente, darunter ein menschlicher Mittelfingerknochen. Direkt auf der Grabensohle in Schnitt 2 lag ein Eisenfragment, welches zur Schirrung eines Pferdewagens oder Ochsenkarrens gchört haben mag. Im darüberliegenden Abtrag konnten fünf Keramikscherben
geborgen werden (Abb. 15), die vom Typ her aus den Stadtkerngrabungen in Heide
bekannt und gut datiert sind, da sie in den Brandschichten des Heider Stadtbrandes
von 1559 auftreten. Es handelt sich um die Importware Helle Ware 1, die in Dithmarschen
im späten 15. und im 16. Jh. erscheint“ und deren Ursprungsort noch unbekannt ist. Die so gewonnene Datierung für die Grabenverfüllung läßt es als möglich erscheinen, daß dieser Graben im Jahre 1500 offen lag.

Abb. 15: Hemmingstedt LA 140. Keramik aus der Zeit von 1530 bis 1580.

Großflächige Ausgrabungen könnten zweifellos klären, ob es sich tatsächlich um einen oder den Wehrgraben der Dithmarscher Bauern aus der Schlacht von Hemmingstedt handelt.

Der überraschende Schlachtausgang, der unverzüglich den befreundeten Städten mitgeteilt wurde, war nach dem Historiker Walther Lammers ein Ausgangspunkt, von dem die bis heute wirksame politische und nationale Gliederung des skandinavischen Raumes mit verursacht wurde,
Die Bedeutung des Ausgangs der Schlacht für das Selbstbewußısein der Bauernrepublik zeigt ein Ausspruch Peter Swyns auf dem Landtag in Itzehoe. Als er spöttisch von den holsteinischen Adligen gefragt wurde, wo er denn den Anspruch auf den Ritterwams, den er trug, erworben hätte, antwortete dieser: „Bei Hemmingstedt, Ihr Herren!

Holzschnittdarstellung auf einem Deckblatt eines Liedes zur Schlacht bei Hemmingstedt.
Die Kunde von der Schlacht wurde durch zahlreiche Lieder im 16. und 17. Jh. verbreitet.

Anmerkungen
1. Reimer Hansen vermutet anhand biographischer Daten von Daniel Frese, daß die Ansicht
im letzten Viertel des 16. Jhs. entstanden ist und daß Meyer auf diese Vorlage zurückgriff, Reimer Hansen, Die Befestigung Meldorfs im Regentenzeitalter der Bauernrepublik
Dithmarschen, Ein Beitrag zu ihrer Datierung, historischen Einordnung und
Bedeutung.  S. 134-145. Dithmarschen, Heft 4, 1979, 136.

2. Beide nehmen Bezug auf die Chronik des Wismarers Reimar Kock (s. 0. 8. 136). Nach J.
Hanssen und H. Wolf, Chronik des Landes Dithmarschen (1833), S. 18, wurde 1511 der
Beschluß gefaßt, Meldorf nach der Neuen – d. h. renaissancezeitlichen – Kriegsweise zu
befestigen. Dies würde bedeuten, daß der Wechsel von der spätmittelalterlichen Wehrbauarchitektur zur frühneuzeitlichen Bauweise in Meldorf im Jahr 1511 stattfand und
ältere Wehrbauten schon bestanden haben, jedoch nicht in Schriftquellen überliefert
sind.

3. Ders., S. 136.

4. Johannes Goos, Altdithmarsische Befestigungen. Ein Beitrag zur Landeskunde (1902), 12.

5. Für vielfältige Unterstützung möchte ich mich beim Leiter des Stadtarchivs, C. Schrum,
bedanken.

6. Meldorfer Wochenblatt Nr. 32-34, 1854, Die alten Befestigungswerke von Meldorf.

7. Für die Datierung ist Frau S. Wrobel, Institut für Holzbiologie der Universität Hamburg,
zu danken.

8. Eine andere Interpretationsmöglichkeit erwähnt ein unbekannter Zeuge der Eroberung Meldorfs im Jahr 1559: „Men hat aber mit den Pferden langsam an das Thor der Stadt khummen konnen, denn es hetren die Bauren die Wegk an beyden Seiten vorgraben,
Wagenräder und Tonnen in die Erde gesetzet und gescherpfte Pfele darzwischen aufgericht.
Und weil men sich auch fuer Fueßangell gefurcht, hat men vorsichtig durchschreiten
mussen.“ A. L. J. Michelsen, Bericht eines Augenzeugen über die Eroberung Dithmarschens.
Archiv für Staats- und Kirchengeschichte der Herzogthümer Schleswig, Holstein, Lauenburg, Bd. 3, 1837, 352.

9. Für die Einmessung der Koordinaten danke ich dem Katasteramt Meldorf.

10. W. Lammers, Die Schlacht bei Hemmingstedt (1987), 175.

11. s. V. Arnold, H. Lübke, Th. Westphalen, Archäologische Untersuchungen auf den Grundstücken Markt 62-64 in Heide, Kreis Dithmarschen. Offa 49/50, 1992/1993, 513-559.

Erstabdruck in:

Archäologische Nachrichten aus Schleswig-Holstein Heft 8, 1997. Hrsg. von der Archäologischen Gesellschaft Schleswig-Holstein e.V. und des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein.