Vertreibung

Transportlisten der Vertreibung

Nach Mitteilung von D. Grammel, Berlin, sind die Transportlisten der Vertreibung aus dem Monat April 1946 im Niedersächsischen Landesarchiv am Standort Wolfenbüttel vorhanden. Auf dem Deckblatt des Transportes Nr. 48 werden grundlegende Angaben gemacht:

Abschrift Deckblatt Transport Nr. 48

Flüchtlingslager Alversdorf 17. April 1946

Transportbefehl Nr. 48

Deutsche Flüchtlinge der Aktion „Schwalbe“.

Im Zuge befinden sich 1500 deutsche Ausgewiesene.

282 Männer

720 Frauen

498 Kinder in 32 Waggons

Ansteckende Krankheiten sind unter den Reisenden nicht festgestellt worden; es sind alle desinfiziert worden.

Als Begleitpapiere gehen Passagierlisten mit. Alle Reisende sind mit Nahrung für 2 Tage versorgt.

Namensliste Nr. 48

des Flüchtlingstransports vom 17. April 1946.

Eingetroffen 17. April 1946 um 14,30 Uhr,

weitergeleitet am 17. April 1946 um 19,00 Uhr.

Woher: Frankenstein Wohin: Syke

(Transcription: D. Grammel, Berlin, 2018)

Sobald die Kopien vollständig dem Archiv vorliegen und eine Publikationserlaubnis erteilt ist, werden die Transporte hier im Detail besprochen.

Quelle: AKA, Herbert Felkel

Der Transport im Viehwaggon erfolgte laut H. Felkel in der Regel mit etwa 30 Personen pro Waggon (Details s. unten den Bericht der Geschwister Felkel). Die Abschrift von D. Grammel zeigt allerdings, dass die durchschnittliche Anzahl bei fast 47 Personen gelegen haben muß (s.o.).

Silberberg unter russischer und polnischer Herrschaft

In einem Bericht (Erstveröffentlichung im Frankenstein-Münsterberger Heimatblatt) beschreibt Hedwig Krause die Ereignisse in Silberberg kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Hedwig Krause betrieb zusammen mit ihrem Mann Albert Krause das Konfektionsgeschäft in der Silberberger Altstadt. Der Bericht wurde im Frühjahr 1948 verfaßt und abgedruckt in einer Sammlung von Schriften von Alfred Kollewe (AKA14, 4-5).

Einmarsch der Russen

Sie schreibt: „Das Schicksal brach Anfang Mai 1945 über unser Bergstädtchen herein. Von Montag zu Dienstag wurde von der Besatzung der Festung auf die vordringenden Russen geschossen. Die Leute flüchteten in die Keller oder in die Wälder. Früh gegen sieben kamen Soldaten auf Rädern. Die sagten wir sollten fliehen, die Russen kämen. Aber wohin? Die jungen Leute liefen in die Wälder, aber die Alten blieben. Wir hatten mit dem Leben abgeschlossen. Die Russen kamen. Sie gingen rudelweise von Haus zu Haus, suchten in den Kellern nach Schnaps, in den Wohnungen nach Tabak, Gold, Silber und Uhren, erbrachen die Schränke, nahmen sich Kleidung und Wäsche und luden alles auf die großen Autos. Am zweiten Tag stand da ein Wagen mit Handgranaten, die gingen in die Luft. Davon wurden vier Häuser niedergerissen und in der Nähe alle Häuser abgedeckt. … auf den Straßen lag das Glas halbmeterhoch. Dann kamen noch viel schlimmere Russen mit ganz furchtbar rohen Gesichtern. Die brachen die Geldschränke auf und nahmen auch die Kühe, Schweine, Pferde und Wagen mit. Den Leuten wurden die Schuhe auf den Straßen ausgezogen, den Männern die Uhren aus den Taschen gerissen. Die Autos waren voll von Kleidung, Wäsche, Betten und Matratzen, Decken und Eßwaren. Die Fleischereien wurden vollständig ausgeplündert, auch die Kaufläden …. Die Russen zogen noch viele Tage durch unsere Stadt und nahmen sehr viel Vieh mit.

Eine Gruppe von Slowenen

Wie das vorbei war, kamen in das Hotel „Prinz von Preußen“ an die vierzig Slowenen. Auch sie raubten, was sie konnten, und aßen und tranken Tag und Nacht. Das schlimmste war die Verfolgung der Frauen. Die Russen vergewaltigten alle Frauen vom zwölfjährigen Kind bis zur Greisin. Viele Frauen starben unter schrecklichen Schmerzen. Die meisten Russen waren geschlechtskrank. In meinem Hause wohnte Paula Bartsch, eine schwache und kränkliche Frau von 74 Jahren. Sie wollte zu einer älteren Bekannten in unserer Stadt gehen, die nicht gern alleine bleiben wollte. Da habe ich Frau Bartsch zugeredet, sie solle doch nicht fortgehen. Da baten auch die anderen Mieter, sie solle bleiben. Aber sie wollte die Bekannte nicht allein lassen. Am nächsten Morgen fand man Frau Bartsch tot  in einer Stube am Boden. Sie war vergewaltigt, furchtbar zugerichtet, beraubt und dann erschossen worden. Wir waren alle darüber sehr erschrocken und sorgten dafür, daß der Stellmacher aus neuen Brettern einen Sarg machte. Ich habe die Bretter dazu gegeben. Deutsche bekamen sonst nirgends mehr Holz für Särge; sie mußten ihre Toten in Kisten, Kinderbetten oder ohne jede Einsargung begraben.

Die Polen kommen in die Stadt

Im Juli kamen die Polen. Zuerst waren es wenige, aber nach kurzer Zeit hatten sie das ganze Städtchen eingenommen. Ein dreiundzwanzigjähriger, der vorher Bandenführer („Partisan“,AKA) gewesen war, wurde Bürgermeister. Wir hatten nichts mehr zu sagen. Die erste Wohnung in unserem Haus nahmen sie den im Ruhestand lebenden Kantor Herrn Bengner, der zwei schöne Stuben bewohnte, ab. Der Mieter durfte nur wenig mitnehmen und mußte das meiste in der Wohnung lassen. Auch ein anderer Herr, der bei uns möbliert wohnte, mußte raus. Da büßte ich die Betten und die anderen Sachen ein. Einige Tage darauf kamen die Polen schon wieder und holten aus der anderen Wohnung Möbel heraus: einen Schrank, einen runden Tisch, eine schöne Coach und Sessel. Zum Teil waren es die Sachen, die meine Tochter  … wegen der Fliegergefahr im Westen in die Heimat geschafft hatte. Diese schöne Möbel ließ sich der polnische Bürgermeister holen. Den nächsten Tag plünderten sie die ganze Wohnung durch und nahmen, was ihnen gefiel.

Achtmal ausgeplündert

Dann kamen wieder andere und brauchten die Ausrede:“Wir suchen Waffen!“ Auch sie wühlten alles durch und nahmen, was ihnen gefiel. So haben sie uns achtmal ausgeplündert und nichts unberührt gelassen. Mietsleute und ich hatten von 42 Flüchtlingen aus Breslau Sachen in Verwahr genommen und gut versteckt; aber sie fanden sie und schleppten sie fort. Dann trieben sie uns aus unserer eigenen Wohnung heraus und schlossen ab, sodaß wir nicht mehr hinein konnten. Wir besaßen nun bald nichts mehr. Die Tochter Grete hatte mit ihrem Mann nur noch eine Dachstube, wo sie schliefen, ich nur ein winziges Stübchen zum Hofe hin. Aber die Polen hatten damit noch nicht genug. Wir drei wurden zusammen in das kleine Stübchen eingewiesen, sodaß wir nun auch die Schlafstube mit den guten Möbeln und guten Betten einbüßten. Jetzt blieb nur noch das kleine Stübchen. Mein Schwiegersohn Paul haas mußte alle Tage zu guten Leuten gehen, um da zu schlafen. Das waren furchtbare Zeiten. Die Polen stahlen uns alles weg. Ob man die Schränke verschloß oder nicht – es war weg.

Die polnische „Gestapo“

Wenn wir was sagten, kam gleich wieder ein neuer Schrecken; die polnische Gestapo. Das waren furchtbare Menschen; wenn die auftauchten, zitterte man am ganzen Körper. Ein Bekannter, der in guten Vermögensverhältnissen lebte, wurde lange eingekerkert. Er mußte in dem kalten Keller auf der Erde liegen, wurde alle Tage furchtbar geschlagen und bekam so wenig zu essen, daß er kaum noch leben konnte. Seine Frau hatte ihn mit einem guten Herrenpelz und einer goldenen Zahnbrücke losgekauft. Wie er rauskam, war er nur noch eine wandelnde Leiche. Da wurde ihm von den Polen ein Kreuz mit zwei Leuchtern hingestellt, und er mußte schwören, niemanden etwas davon zu sagen, was er erlebt hatte. Vier Männer wurden nach Glatz geschafft und kamen von da nach Kiew in Rußland. Die Frauen warten noch heute (1948) auf ihre Rückkehr.

Mietzahlungen im eigenen Haus

Ein Pole überfuhr mit seinem Rad eine katholische Krankenschwester, sodaß sie bewußtlos liegen blieb. Als sie wieder zu sich kam, befand sie sich auf dem Friedhof. Es war eine Frau von mehr als 60 Jahren. Es war etwas alltägliches, daß Bewohner unserer Stadt halbtot geschlagen wurden. Die deutschen Frauen und Männer mußten die schmutzigsten Arbeiten machen und zwar ohne Bezahlung, nur um eine Lebensmittelkarte zu bekommen. Ich selbst bekam keine und mußte für ein Dreipfundbrot 30 Reichsmark, für ein Pfund Zucker 120 RM, ein Pfund Butter 180 RM und ein Pfund Speck 200 RM zahlen. Auch Miete mußte ich an die Polen in meinem Hause zahlen, ebenfalls Lichtgeld, das sehr teuer war. Am 14.2.1946 ging meine Tochter mit ihrem Mann Paul schwarz über die Grenze … ihr Ziel .. Düsseldorf. Wie die Kinder raus waren kamen gleich die Polen und nahmen mir die Betten weg. Ich war nun die einzige Deutsche in dem großen Haus und fürchtete mich, weil man keinen Augenblick des Lebens sicher war. Da kam eine Lehrerin namens SOBOTTA, eine Deutsche, die bis vor kurzem am Lyzeum in Breslau gewesen war, die bliebt zur Nacht bei mir. …. Tagsüber ging sie in die Häuser und gab englischen Unterricht….

Der Marsch nach Frankenstein

Am 13. April 1946 morgens früh um sechs Uhr kam die Ausweisung für Silberberg. Auch ich mußte die Heimat verlassen. …Das Schicksal hatte mich schon vorher hart getroffen. Meine vier Söhne waren den ganzen Krieg draußen; mein Sohn Hans (34 Jahre alt) ist in Rumänien gefallen; Walter der jüngste Sohn, ist seit den schweren Kämpfen bei Berlin vermißt. Mein Mann starb 1941, erst 60 Jahre alt. Bei der Ausweisung wurden, obgleich die Eisenbahn da war, die alten Leute auf Bretterwagen geladen, die andern auf Schiebkarren. Das geschah, um uns Deutsche zu knechten; damit erreichte man, dass die Ausgewiesenen nur kleinstes Handgepäck mitnehmen konnten. Bei der Kontrolle wurden uns die Sparkassenbücher, alle Silbermünzen und alles polnische Geld abgenommen. Niemand durfte mehr als 500 RM haben, das übrige wurde weggenommen; die meisten hatten nicht einmal mehr diesen Betrag. Auch neue Stoffe, Kleider, Schuhe und Taschen nahmen sie den armen Leuten weg. In Frankenstein kamen wir auf die Eisenbahn. Je 32 Personen wurden mit ihrem Gepäck in einem kleinen Viehwagen untergebracht. Wir saßen beengt wie die Heringe. Der Zug bestand aus 12 solcher Viehwagen. Wir fuhren über Kohlfurth. Noch immer mußten wir die weiße Binde targen. Als Verpflegung gab es etwas Kaffee. Nach vier Tagen kamen wir hinter die Neiße. Die Bahnstation hieß Albertsdorf. Dort bekamen wir zum ersten Mal auf der Fahrt etwas zu essen: Suppe, Wurst, Brot und Kaffee. Dann ging es weiter. Wir wurden in einen Eisenbahnzug umgeladen und bekamen wieder Suppe und Schnitten mit Butter. Wir dachten wir kamen ins Paradies. Schließlich kamen wir in Bruchhausen-Vilsen (Bezirk Bremen) an. Wir bekamen ein einfaches Stübchen. Eine Bettstelle war nicht da, nur Stroh auf die Erde gebreitet. Aber in den nächsten Tagen wurden einfache Feldbettstellen besorgt. Die Leute waren auch nicht sehr begütert, aber hilfsbereit… Bald darauf, am 23. März 1946, holten mich meine Sohne Karl und Georg nach Hilden“ , (AKA14,5).

Erlebnisbericht des Pfarrers Richard Berndt aus Quickendorf bei Silberberg

Die Zeit nach dem Kriegsende hatte viele Facetten und unterschiedliche Erfahrungen trugen zu einer differenzierten Beurteilung bei. So berichtet der Pfarrer Richard Berndt aus Quickendorf bei Silberberg, daß in Schönwalde nur vier Frauen von der „zügellosen Soldateska“ verschont blieben. Einen Absatz später beschreibt er die russischen Soldaten  „im großen und ganzen nicht bösartig, ja, z.T. geradezu gutmütig“. Später – so der Pfarrer Richard Berndt – „haben wir Deutschen an den jeweiligen russischen militärischen Ortskommandanten einen starken Schutz gegen die Übergriffe der allmählich einsickernden Polen gehabt …. So erließ der Bezirkskommandant von Silberberg eine scharfe Verfügung, in der jedes unbefugte Betreten des Pfarrhauses verboten und dieses in besonderen Schutz genommen wurde. Eine entsprechende polnische Verfügung war viel matter  … und bliebt daher auch nahezu wirkungslos. Ganze Zimmereinrichtungen wurden uns ohne weiteres abgenommen… (aus: Erlebnisbericht des Pfarrers Richard Berndt aus Quickendorf, Kreis Frankenstein, vom 25.7.1949. In: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Band I/2, S. 390 f., 1957).

Bericht von Felicitas Hubicka, geborene Grammel, über die frühe Nachkriegszeit in Herzogswalde

Felicitas Grammel, später Hubicka, eine Nachfahrin des Rätscher Erbkretschmers Simmert, blieb in Schlesien und beschreibt die letzten Kriegsmonate in Breslau und Herzogswalde bei Silberberg. In einem 1990 verfaßten Bericht schildert sie das Zusammenleben mit den neuen Bewohner aus Ostpolen.

„Mein Vater beschloß, mich wieder nach Herzogswalde zu bringen, da es dort „ruhiger“ geworden war. Langsam richtete sich nun in den Dörfern die „polnische Verwaltung“ ein und setzen sich jetzt mit den Russen auseinander, denn es sollte etwas übrig bleiben, für die anrückende polnische Bevölkerung aus dem Osten. Die kamen nun mit ihrer armseligen Habe, nach monatelanger Reise, verhungert, verlaust , meistens aus dem Osten vertrieben. Sie wurden in die deutschen Höfe eingewiesen und es fing ein schwieriges Zusammenleben an, je nachdem mit was für Menschen man zu tuen hatte. Ich kann mich an ein älteres Ehepaar erinnern, das bei uns in Peterwitz einquartiert war. Sie saßen an unserem Tisch und konnten vor Weinen nichts essen. Sie hatten ihr Häuschen verlassen müssen und waren in ein fremdes Land gebracht worden. Oft war es bei der Ausweisung nicht ohne Kampf abgegangen. Man wartete, wie es weitergehen soll. Da kamen 1946 die ersten Ausweisungsbefehle für die deutsche Bevölkerung. Es ging das Gerücht um, es ist nur für eine kurze Zeit. Nur mit dem Handgepäck, zu Fuß, mussten die Menschen kilometerweit zur Sammelstelle ziehen. Von dort wurden sie in Viehwagen verladen und nach Westen gebracht. Bis heute ist es den Weltpolitikern nicht klar geworden, dass die Vertreibung von Menschen aus ihrem angestammten Wohnsitz ein Verbrechen ist, dessen Einfluss auf den einzelnen Menschen zerstören kann. Man kann nicht einmal Pfanzen oder Tiere in eine andere Umwelt versetzen, ohne dass sie Schaden leiden, um so grausamer ist es für Menschen, die in eine fremde Gegend verpflanzt werden. In alten Zeiten wurde nur Verbrecher als Vogelfreie verstoßen. Heute sind es ganze Völker, die vertrieben werden.
Mein Vater wurde im August 1946 ausgewiesen. Ich war zu dieser Zeit bei meiner kranken Mutter, Großmutter und Großtante in Herzogswalde. Alle drei waren nicht „vertreibungsfähig“. Ich blieb bei ihnen. Diese Zeit war gezeichnet von der Sorge um das tägliche Brot – ein Überlebenskursus. Das deutsche Geld war entwertet, die ersparten Vorräte waren gestohlen. Ich war die Einzige von meine Angehörigen, die laufen konnte, ein Verdienst war nicht möglich, wir lebten von einem Tag zum anderen vom Garten, Wald und Feld. Es wurden Beeren, Pilze und Kräuter gesammelt, Gemüse angebaut, im Bach mit der Hand Forellen gefangen. Ein paar Hühner waren noch übrig geblieben, obwohl es eine Verordnung gab, nach der sie abgeliefert werden sollten. In der Kaffeemühle wurde Getreide gemahlen und davon Brot gebacken, Gerste zum „Kaffee“ wurde ebenfalls selbst gebrannt. Man war erfinderisch in Kochrezepten. Es ging darum, wie man aus „nichts“ etwas zum Essen machen konnte : „Schlagsahne“ aus Magermilch-Mehlsuppe, Kartoffelkuchen ohne Ei mit Kürbisgelb gemacht, Brennessel als Spinat zubereitet, Kartoffelpuffer auf der Herdplatte gebacken. Das Holz musste im Wald gesammelt werden. Der Winter 1946/7 war kalt, ich hatte mir Hände und Füße erfroren. Unser großes Haus warm zu bekommen war ein Kunststück, wir zogen alle in ein Zimmer und schlossen den Kanonenofen, auf dem gekocht wurde, an der Kachelofen an. Aber in der Nacht gefror das Wasser in den Töpfen und die Wände glitzerten vor Frost. Was man nicht selbst „produzieren“ konnte, wurde im Tauschhandel erworben. Manche befassten sich damit „hauptberuflich“ und kamen ganz gut weg dabei. Wir bekamen für eine goldene, gravierte Uhr ein Liter Rapsöl, das wie Wagenschmiere aussah und für ein goldenes Armband 1 Kilo gesalzenen Speck, von dem beim Auslassen die Augen brannten, so „roch“ er. Ein Überleben ohne gegenseitige Hilfe wäre nicht möglich gewesen. Das wussten die Menschen aus dem Osten aus eigener Erfahrung. Sie halfen einander und auch uns: manchmal brachte einer ein selbstgebackenes Brot oder einen Kuchen, auch ein Stück Fleisch vom Schlachten und sagte: „Habt keine Angst, wir lassen euch nicht verhungern!“ Andere wieder brachen in der Nacht ein und nahmen alles mit, was transportfähig war, sogar Teppich und Gardinen. Man war froh, wenn man mit dem Leben davon kam. Keiner war sicher in der Zeit, es genügte eine Anzeige und Leute verschwanden auf Nimmerwiedersehen. In Polen herrschte der Kommunismus und seine Gegner wurden genau so schnell beiseite geschafft, wie beim Faschismus. So teilten viele Polen das Los von Deutschen, die in den Gefängnissen saßen. Die sowjetische Staatspolizei NKWD urteilte sie ab, ohne lange Prozesse zu führen. Nach Sibirien hatte man schon vorher viele „verschickt“. Nach Stalins Tod kamen manche von ihnen nach Schlesien, denn die hatten keine Heimat mehr, ihre Gebiete waren sowjetisch geworden. Von ihren „Urlaub“ im fernen Osten durften sie nicht viel erzählen, die war „tabu“, ebenso wie die Ermordung der polnischen Offiziere in Katyn und die Aussiedlungen. Sämtliche, von den Russen gewaltsam umgesiedelten Menschen waren jetzt „auf eigenen Wunsch“ umgezogen, in Sibirien war es ihnen „gut gegangen“ und Fotos von dort wurden versteckt, die durfte niemand sehen. So schlängelte man sich durch. Reden war Silber und Schweigen war Gold. In der Nacht wurde der Sender „Freies Europa“ gehört, was durch die Störungen mit schrecklichen Quietschtönen verbunden war und man rechnete damit, dass man die „wiedergewonnenen Westgebiete“ womöglich wieder verlassen müsste. Junge Leute tauschten damals Fotos aus mit der Aufschrift : „Zum Andenken an unseren Aufenthalt im wilden Westen“. Heute sind dieselben Menschen grau und alt geworden und leben immer noch im „Wilden Westen“, ihre Höfe im Osten sind verfallen und ihre Kinder in Schlesien geboren. „Ich habe es geschafft“ kann man erst sagen wenn man auf den Friedhof hinausgetragen wird, meinen die alten Leute aus dem Osten – es gibt nur eine Gerechtigkeit, dies ist der Tod , der jeden erreicht! Daran sollten vor allen Dingen die Weltpolitiker denken. Man verschiebt nicht Menschen mit einem Federzug wie Schachfiguren in alle Richtungen der Welt, denn an jeder Figur hängt ein Menschenleben und ein Schicksal für das man sich verantwortlich fühlen sollte! Ich befand mich zwar immer noch in meiner Heimat, aber jetzt in einem ganz fremden Land, dessen Sprache und Sitten ich erst lernen musste. Es war schwer sich umzustellen.“
Der Bericht stammt aus dem Jahr 1990.
aus: Chronik der Gemeinden Wiesenthal, Rätsch und Reumen V2017. VIII. Zusammengetragen von Jürgen Wolf und Michael Kuznik , 2003, S.372-373.



Kriegsende in Silberberg: Bericht von Berta Zeunert

(Die Übertragung des handschriftlichen Textes hat dankenswerterweise Herr D. Grammel, Berlin, übernommen)

Gütersloh, 20.XI.47

Liebes Fräul. Simon

Heute will ich das längst Versprochene einhalten. Schon am 29. Jänner 1945 kam meine jüngste Tochter Eva Mariai aus der Schule nach hause und erzählte ganz ängstlich, daß der Professor Dr. Bruder in der Klasse ganz verzweifelt hin und her gelaufen sei mit folgenden Worten: „Kinder ich muß euch heute mit etwas Schrecklichem bekannt machen, die Russen sind in Censtochauii durchgebrochen und marschieren mit 15 Divisionen auf Oberschlesien zu, sie sind nicht mehr aufzuhalten, für uns bedeutet das, daß die Schule geschlossen wird.“ So war der Anfang vom Kriegsende. Aber was für ein Ende.

Berta Zeunert mit ihren Kindern vor dem Eingang des Gasthofes Friedrichshöh, 1938 (von links: Eva-Maria, Berta mit Baby Egbert, Wolfgang, Günter, Marzella)

Meine Tochter Marzellaiii blieb damals alle Tage in Frankenstein und übernachtete dort, weil der Zug täglich eine Stunde und noch mehr Verspätung hatte abends. Als sie wieder einmal nachhause kam, holte sie sich ihre Wäsche und Kleidung und wollte mit dem Lazarett wo sie als erste Köchin war nach dem Westen flüchten, uns selbst überraschte sie gerade beim Betten packen, denn wir wollten zu dieser Stunde auch flüchten. Das war alles ein verzweifeltes, banges Tun, weil man nicht wußte, wie und was man machen sollte. Ich bat Marzella doch nicht zu gehen, sondern bei uns zu bleiben, was sie auch später, als die Autos mit dem Lazarettpersonal abfuhren, auch tat, sie blieb und kam zu uns nach Silberberg. Das war in der Zeit bis 7. Mai. Am 4. Mai hielt der damalige Ortsgruppenleiter Kapolkeiv noch eine Abschiedsrede, er meinte dann, die Partei sei aufgelöst, die Russen wären nicht mehr weit und wir sollten uns flüchten. „Gott beschütze euch“ waren seine letzten Worte, denn die Russen hatten ihn dann auch aber erst später abgeholt, wo er im Juli dort im Lager an Typhus starb. Am 6. und 7. Mai kam eine Division deutsche Soldaten durch Silberberg, aber wie sahen sie aus, müde, matt einen sah ich ohne Schuhe Füße kaputt gelaufen, bei Kamenz waren sie schon von den Russen eingeschlossen gewesen. Sie wußten alle nichts, nur daß sie von der SS waren und meistens Ungarn hatten sie auch neben ihrer Zugehörigkeit zur SS auch den Verzicht auf die ungarische Staatsbürgerschaft unterschrieben. Das war alles traurig für sie. Blutjunge waren auch dabei, Kinder. Nun sollte erst Silberberg verteidigt werden. Überall waren Laufgräben um den Spitzberg und Festung herum Panzergräben aufgeworfen schon seit dem Herbst hatte man daran gearbeitet. Das Oberkommando über den Abschnitt in Schlesien hatte Tschärnerv, der nie die Waffen vor den Russen strecken wollte. Immer noch wurden Befehle ausgegeben. Frankenstein hatte sich ohne einen Schuss ergeben, obwohl die SS den Befehl hatte in die weiß beflaggten Fenster zu schießen, hatte der Kreisvikar öffentlich die Leute aufgefordert trotz Widerspruches der SS die weißen Flaggen zu hissen. Man konnte später den Kampf in Schönwalde beobachten, es fielen noch Deutsche und Russen. Meine Schwester und deren Kinder haben den Kampf mitangesehen, wie voll Angst und Verzweiflung die Schießerei von seiten der Deutschen gemacht wurde. Von Zeit zu Zeit setzten die Befehle der Offiziere aus und der Soldat kämpfte von sich aus um sein eigenes Leben zu schützen. Silberberg sollte in Flammen aufgehen um so den Vormarsch der Russen zu verhindern, hatte die SS vor. In die Mitte der Stadt wurde ein Munitionsauto zum explodieren gebracht. Das Grundstück von K.vi einem Obernazi brannte bis auf den Grund nieder ebenso die alte Schule. Mehrere Häuser wurden schwer beschädigt. Silberberg brannte nicht alles, obwohl dasselbe auch in dem Hohlwege, oben beim Zoll gemacht wurde. Die vielen Panzersperren nützten nichts. Die ersten Russen befreiten die gefangenen Russen am Spitzberg – 500 Mann welche nun auf ein bischen Häcksel am Steinpflaster schlafen mußten und zu Gräben machen und Holzarbeiten dazu verwendet worden waren. Es kamen als die ersten 3 Russen zu mir in die Wohnung, es war kein schönes Gefühl diese nun als die Feinde vor sich zu haben. Wir hatten wohl die Nacht über mit unserer Nachbarin im Flur zusammen fortwährend im Gebete verharrt und uns nun Gott befohlen. Um 5 Minuten nach 12 Uhr nachts kam es durch daß Waffenstillstand war eine „Bedingungslose Kapitulation“ hatte Dönitz der Konteradmiral der Flotte unterzeichnet, mit anderen Worten: „mit uns, dem deutschen Volke könnt ihr machen was ihr wollt.“ das ganze deutsche Volk nicht bloß in den Krieg gestürzt nein ausgeliefert an die Feinde, die uns haßten bis zum Tod! Armes Volk, arme deutsche Jugend, verlassen, verfolgt. Marzella wollte am Tage vorher noch mit der SS flüchten, nur vor den Russen fort, wegen dem vergewaltigen. Ja nun kamen sie und es sah noch ganz gut aus. Vor der Haustür gab ich ihnen zu trinken und man unterhielt sich mit ihnen, aber bald kam alles anders. Einer ging mir nicht von den Fersen, ein anderer noch junger hoch zu Roß, mich schauderts, wenn ich diese Zeit bedenke – hatte immer fort Marzella im Auge, meine Schwester sagt: „du Marzella, der Kerl hat mit dir was vor.“ Ich sage leise zu Marz: verschwinde, so schnell du kannst zu Gallisch Annavii etwa. Das war ein älteres Fräulein wo Eva und meine Mutter schon hingeflüchtet waren. Marcella ging sofort und der Russe hat dies aber nicht beobachtet. Der andere der wieder auf mich zukam hatte ihm das gesagt und der am Pferd sprach mit mir deutsch, wem wohl dieses Mädchen gehörte, da sagte der ältere Russe ich würde russisch sprechen. Da sagte er auf russisch, ich solle sofort das Mädchen her holen. Ich antwortete eben auf russisch: „er solle hier warten ich hole schnell das Mädchen.“ Ich nun schnell in der Lücke der Kaserne 4 hinunter um die Ecke sah ich schon Marzella in der 5 zum Fenster hinaus sehn. ich sage nun Marzella ganz schnell fort sonst erschießen sie uns, denn ich kannte die Wut von dem jungen Russen zu Pferde. Marzella und ich liefen nun so schnell wir konnten, hinter den Kasernen in die Hohle hinunter und dann herauf über den Berg zum Spitzberg zu. Auf der halben Anhöhe hörte ich einen Schuß fallen und die Todesangst in der wir weg liefen verschlimmerte sich noch durch die Meinung: nun hat der junge Kerl Eva oder Großmuttl erschossen, weil ich mit dir nicht zurück kam. Der Schuß kann nur in der Vierer Lücke gefallen sein.

Fluchtweg: rote Linie : von der Kaserne 174/4 nach Herzogswalde; blaue Linie: von Herzogswalde zum Gasthof Friedrichshöh; grüne Linie: von der Kaserne in den Gasthof (Skizze aus „Silberberg und die Silberberger“, 2004, s. SHOP).

Wir liefen zum Spitzberg in den Wald immer in den Schützengräben hin bis nach Herzogswalde in die Mühle wo ich bat, Marzella zu verstecken. die Müllersfrau konnte das nicht weil sie selbst 2 Töchter und 1 Schwiegertochter verstecken mußte, also weiter zu Fichtner, dort waren 3 Töchter, diese Frau war sofort einverstanden dazu und wir blieben ungefähr eine Stunde. Da ich aber gar keine Ruhe hatte auch Marzella nicht, so borgten wir uns alte Mäntel und Kopftücher, so verkleidet liefen wir nun in die Friedrichshöhe und ich bat meine Schwägerin, ob wir uns nicht dort aufhalten könnten, weil wir in unserer Wohnung in der Kaserne keine Ruhe mehr hatten. Vorerst blieb Marzella da und ich lief unter lauter Russen, die alle am Durchmarsch waren hinunter in die Kaserne Nr. 5 wo Mutter und Eva versteckt waren, zu meiner großen Freude lebten sie beide noch und der Schuß hatte dem Hund von meiner Nachbarin gegolten, da der Russe hatte die Frau angreifen wollen, hatte sie ihr Hund verteidigt, es war Frau Greykowskyviii. Meine Schwester, die ich mit drei Kindern zu uns genommen hatte lebte Gott sei Dank auch noch sie hatten sich im Holzschuppen versteckt gehalten. Ich räumte nun, was ich konnte von meiner Wohnung Kaserne 4 in die Friedrichshöh in die Wohnung meiner Mutter diese lag oben unter dem Dach da kam nicht jeder Russe herauf. In der Kaserne war ich schon beraubt worden, mein bestes Kostüm, Güntersix guter Wintermantel, 2 Paar neue herrliche Schuhe von mir, ein paar von Marzella, die Uhren, ein silberner Drehbleistift, Füller, Tabak, Zigaretten, einen ledernen Koffer mit Eßwaren, Getränke, Nudeln alles war weg, später 2 gute Röcke, noch ein Mantel von mir. Abends als wir so in der Friedrichshöh waren kamen auch die Schwägerin und deren Verwandte auch in Mutters Wohnung herauf, 3 Russen nach, ich habe damals am ganzen Leibe, wie noch nie gezittert. Kurz vorher waren meine Schwester, Fr. Greykowskyx und Marzella zum Fenster hinaus auf den Saal gesprungen. Das war kaum geschehen waren die Russen schon da. Der eine sah noch zum Fenster hinaus, weil es noch etwas raschelte draußen, sah aber nur auf die Russen die vorbei marschierten – Gott sei Dank dachte ich. Nun begannen sie erst den einen Mann, der Schwägerin Schwager Maier abzutasten, der konnte aber schnell hinter seinem Rücken seiner Frau die Ringe und Uhr zustecken. Dann nahmen sie meine Schwägerin Lenchen auf den Boden, meine Mutter stießen sie beiseite und vergewaltigten sie alle drei, wo sie dann eine Maschinenpistole am Boden liegen ließen. Danach gingen wir alle, nur Mutter blieb bei den Kindern, im Stockfinstern auf allen Vieren kriechen den Berg zur Festung hinauf wo wir sitzend oder liegend, je nach Beschaffenheit des Berges schliefen. Morgens als ich mit Frau Greykowskyxi als erste herunter gingen, begegneten wir gerade dem Parteigenossen (ehemaligen) Weber, der abgeführt wurde von 2 Russen, wir waren entsetzt. Einige Tage darauf flüchteten wir wieder in die Klausnerbaude nach Böhmisch Wald weil es hieß, bevor die Russen abziehen wollten sie noch alle deutschen Frauen vergewaltigen. Da liefen wir wieder in einer großen Angst unsere Habseligkeiten mit. Das werde ich auch nie vergessen: 8 Frauen waren die Schwägerin Lenchen 13 Kinder wir waren 4 Erwachsene 5 Kinder und alles in größter Eile dahin, meine Schwester war krank geworden, das einjährige Söhnchen schrie die ganze Nacht. Meiner Schwester hatte man die Brieftasche genommen mit ihrem ganzen Gelde.

BÖHMISCH-WALD

Sonntags gingen wir wieder in Bangen und Hangen in die Wohnung vorläufig um aufzuräumen, da haben wir den Dreck geschaufelt, so sah es da aus, das war russ. Wirtschaft. Als sie wieder durchzogen am Rückzug von Prag kamen sie her da war die Angst nochmals, aber die Türen blieben fest verschlossen, keiner getraute sich kaum durchs Fenster zu sehn auf diese, die sich wie Tiere benommen hatten.

Eine ganz alte Frau Bartsch, sehr fromm, war wohl 78, hatte man vergewaltigen wollen und da diese sich zur Wehr setzte kurzerhand erschossen. Den Spierxii vom „Kretschmar Häusl“ am Berge saß auch tot in seinem Stuhle.

Skizze aus Felkel, Silberberg und die Silberberger (2004), s. SHOP.

 

Das waren die Russen, als die Polen kamen wurden erst aus unter irgend einem Vorwand Hausdurchsuchungen gemacht, den Leuten mit dem Wagen alles Wertvolle abgeholt. Später wurden sie einfach heraus gesetzt, so auch meine Schwägerin in wenigen Minuten noch bei Schneesturm mit drei kleinen Kindern. Zum Glück konnte sie gerade in die Kas. 5, die ich für meine andere Schwester aus Glatz erbeten hatte. Diese Schwester wurde fünfmal von den Polen herausgesetzt. Dies blieb mir erspart. Bis wir am 13. April 46 ausgewiesen wurden, Marzella hatte noch bis zum Schluß bald für die Polen gekocht im Hintzewerkxiii. Nun wohnen wir seit dem 1. Oktober hier in Gütersloh in Westfalen. Haben 1 kleines Zimmer zum Schlafen, 2 Betten und eine Bank haben Platz drinn und eine kleine Küche. Wir wohnen wenn auch sehr eingeengt, doch sauber und freundliche Zimmer. Marzella hat am 12/XI. eine Stelle als Köchin am Stadtbahnhof zu der Restauration und Wolfgangxiv arbeitet bei den Engländern. Er konnte bei der Bahn ankommen, aber wegen seinem schlechten Augenlicht ging es nicht. Egbertxv geht zur Schule ½ Stunde besser als dort ¾ Stunden u. schlechter Weg. Für die Miete muß ich hier Hausarbeiten machen ich ging viel lieber wohin arbeiten. Schreiben Sie mir bitte wieder, was Sie lieber Frl. Simon machen, es grüßt Sie herzlich Ihre B. Zeunert. Auch von meinen Kindern Grüße.

Transkription und Fußnoten: Detmar Grammel

Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung wurden nicht verändert.

Die Adressen – ggf. die richtige Schreibweise der Personennamen – sind entnommen aus: Einwohnerliste der Stadt Silberberg/Eulengebirge Kreis Frankenstein nach dem Stande vom 1.9.1939 bezw. zum Zeitpunkt der Vertreibung 1946 (überarbeitet 1987/88) von Gretel Wildenhof)

Der Brief wurde von Berta Zeunert, geb. Wolf, geschrieben (Oberstadt/Kasernen 174/4)

 i Tochter Eva Maria

ii Czenstochau

iii Tochter Marzella (Marcella)

iv Georg Kapolke, von Beruf Förster

v Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner (weitere Informationen siehe Wikipedia)

vi Sommerseite 20

vii Galisch Anna, Oberstadt/Kasernen 174/5

viii Grajkowski Therese geb. Kurzbachy, Oberstadt/Kasernen 174/5

ix Sohn Günter

x s.o.

xi s.o.

xii Spier Heinrich, Architekt, + 9.5.45 in Silberberg, Oberstadt 216 (s. Skizze oben)

xiii Hintze Günter, Fabrikant, Oberstadt/Kasernen174/13

xiv Sohn Wolfgang

xv Sohn Egbert


 

 

 

Ein Lied – so Berta Zeunert – gab den Menschen in ihrer Not eine Stimme, es wurde nicht nur in der Zeit kurz nach dem Krieg gesungen, es klang auch aus den Waggons gen Westen am 13.4.1946:

MGM Gymnasium, Oberstufenchor, 2012.

Das Lied „O Heiland, reiss die Himmel auf“ stammt aus dem Dreißigjährigen Krieg, es war ein Flehruf um Hilfe und ein Hoffnungslied in dunkler Zeit, Zeilen wie „Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod. Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland“ zeigen die Ausweglosigkeit. Hoffnung, Kraft und die Sehnsucht nach Errettung spiegeln sich im Text jedoch auch: Reiss auf! Reiss ab! Giess aus! Fliess herab! Schlag aus! Bring hervor! Spring heraus! Wer dieses Lied singt, findet sich nicht ab mit der augenblicklichen Situation. Er oder sie leidet an der Wirklichkeit und ruft, ja schreit nach Veränderung.

Vertreibung

Unsere Vertreibung aus Silberberg in Schlesien (nach dem Tagebuch von Rose-Maria Felkel von 1946, neu zusammengestellt von Herbert Felkel und seiner Schwester Rose-Maria Felkel-Tönnishoff 2011)

Am 29. Juni 1945 klingelte es bei Familie Felkel in Silberberg. Ein unbekannter Mann fragte nach Elfriede Fritsch. (Das war meine Mutter) Dem Mann sagte ich, ich muß mal fragen ob jemand die Elfriede Fritsch kennt. Mutter schob dann die Gardine an der Tür etwas zur Seite und erkannte ihren Vetter Heinz Fritsch. Heinz war uns sehr willkommen.

Es war aber eine traurige Nachricht, welche Heinz uns brachte, von der bevorstehenden Vertreibung.

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war Heinz Fritsch in Gefangenschaft und mußte in einer oberschlesischen Kohlengrube, die von Polen geführt wurde, untertage arbeiten. Die Gefangenen hatten keinen Zugang zur Bevölkerung. Sie hatten aber auf einer eingezäunten Wiese etwas Auslauf. Am Zaun kam Heinz mit einer Frau ins Gespräch, sie versprach, ihm Kleidung ihres gefallenen Mannes zu geben und ihm bei der Flucht zu helfen. Es gelang Heinz aus dem Gefangenenlager zu entkommen. Die Frau gab ihm zivile Kleidung ihres Mannes, sowie einen Rucksack mit Wäsche und Lebensmitteln.

Damit machte sich Heinz auf den Weg nach Gleiwitz zur Familie Weinert (eine mit der Fritsch-Linie (z.B. unsere Mutter) verwandte Familie). Harald Weinert war dort katholischer Pfarrer an der St. Bartholomäus Kirche.

Harald Weinert berichtete Heinz von der bevorstehenden Vertreibung der deutschen Bevölkerung und empfahl ihm nach Silberberg zu gehen. Dort lebt in seiner Sommerwohnung Robert Felkel mit seiner Familie. Das ist eine Gelegenheit mit der Famlie Felkel als Zivilist an der Vertreibung teilzunehmen.

Vorbereitungen in Silberberg, für die erwartete Vertreibung

Information der Silberberger
Das war eine schlimme Nachricht. Unser Vater berichtete diese unseren Nachbarn und bat, diese Information weiterzugeben und sich auf eine bevorstehende Vertreibung einzurichten. Doch – man glaubte das nicht.

Vater und Heinz waren sofort einig, die Vertreibung vorzubereiten. Sie ahnten, jedermann wird nur soviel Gepäck mitnehmen können, wie er tragen kann.
Ein geschäftiges Treiben begann dann bei uns.

Was nehmen wir mit ?
Kleidung für warme und kalte Tage, was zu essen und zu trinken, unsere Urkunden, Geld, Wertsachen …..?
Was wollen wir außerdem mitnehmen ?
Wie können wir unsere Wertsachen verstecken? Heinz vermutete unsere Habe könnte von den Polen noch durchsucht und geplündert werden (Vater hatte, bevor er Breslau verließ, vom Bankkonto noch viel Bargeld abgehoben und mitgebracht).
Wann und zu welcher Jahreszeit wird die Vertreibung erfolgen ?

Wie transportieren wir unsere Habe ?

Mit unserem Handwagen(Leiterwagen).

Ein geschäftiges Treiben begann in unserm Haus in Silberberg.
Mutter nähte aus Zeltbahnen 4 Rucksäcke mit breiten Tragegurten. In die Gurte und in das Dreieck, welches oben die Gurte am Rucksack festhielt, wurden Geldscheine eingenäht.
Von den Schirmmützen wurden die Schirme abgetrennt, Geld eingelegt, und wieder angenäht.
Im Futter der Mäntel wurde Geld eingenäht.

Vater entfernte im Deckel eines Lederkoffers (den hab ich noch) die Innenverkleidung ,legte Geld dahinter und klebte den Deckel an den Rändern wieder ein. Kleber hatten wir nicht, der wurde selbst produziert. Wie, das weiß ich nicht mehr genau, jedenfalls mußte ich dazu Kastanien schälen und aus dem weißen Inhalt mittels einer Küchenreibe einen Brei machen. So bearbeitete er auch andere Koffer. – In die Schuhe wurden Geldscheine eingelegt, darüber eine Fellsohle (Kaninchenfell) an den Rändern eingeklebt.

Heinz kam auf eine tolle Idee. Er versteckte Geldscheine im Absatz von Schuhen, wie ? Früher gab es nur Leder-Schuhe. Auch der Absatz war aus Leder, in mehreren Schichten, obendrauf ein Gummiabsatz als Lauffläche. Heinz stemmte mit einem Stechbeitel (Tischlerwerkzeug) eine Öffnung in den Lederabsatz, da hinein kamen gefaltete Geldscheine, dann wurde der Gummiabsatz auf die Ränder des Lederabsatzes genagelt.

Irgendwoher fand Heinz ein dreibeiniges Gestell, etwa 12 cm hoch, zwischen den Beinen des Gestells war ein metallener Reifen. Eine leere Schuhcremeschachtel paßte da gerade hinein. Die Schachtel wurde mit einem Holz, das er unten kugelförmig bearbeitet hatte, und einem Hammer solange bearbeitet, bis sie eine Mulde darstellte. Am Rand wurden kleine Löcher angebracht, fertig war ein Spirituskocher. Der konnte uns bei der Vertreibung noch nützlich sein.
Brennspiritus hatten wir noch, kauften bei Baumheier aber noch eine Flasche. Der hatte noch einen guten Vorrat. Als die Russen nach Silberberg eingezogen waren, hatten sie Baumheiers Laden geplündert und soffen Brennspiritus in Mengen.

Die Hängematte, entschied Heinz, wird mitgenommen, und außerdem noch Werkzeug, vor allem ein kurzes Beil, eine Zange und Nägel verschiedener Größe. Das war später sehr nützlich, im Viehwaggon, in dem wir mit der Bahn befördert wurden, konnte Heinz die Hängematte anbringen, darin schlief er dann, über uns.

Die Winterseite 115 in Silberberg ist ein großes Haus. Hinter der Haustür öffnet sich ein großer Hausflur und dort stand unser Handwagen.

Probepacken

Als Koffer, Rucksäcke, Decken und auch Federbetten gepackt waren, wurden diese probeweise auf den Handwagen verladen. Aber o Weh, ein Koffer allein belegte schon die Ladefläche des Wagens.
Heinz fand die Lösung. Lange Bretter auf die Ladefläche gelegt vergrößerten diese nach hinten, aus dem Wagen heraus. Und Bretter senkrecht an die Seitenwände gestellt, vergrößerten die Ladefläche nach oben und in die Breite. Aber, das reichte immer noch nicht, da stand noch Gepäck, das auch mitgenommen werden sollte.
Vater hatte eine verrückte Idee. Auf dem Boden stand noch ein großer Reisekoffer.

Der fahrbare Reisekoffer

Das war ein großer Auto-Reisekoffer. 95 cm breit, 60 cm tief, 95 cm hoch. Als es in Autos noch keinen Kofferraum gab, wurden solche Riesenkoffer hinter dem Wagen auf einem Gestell festgeschnallt, sie konnten nur von zwei Leuten getragen werden.
Diesen Koffer wollte Vater mitnehmen, aber wie transportieren? Mit dem Handwagen war das nicht möglich, der war voll. Aber auch im leeren Zustand hätte er den Riesenkoffer nicht aufnehmen können. Ein fahrbares Gestell mußte unter den Koffer, doch woher Räder nehmen?
Auf dem Boden war -aus unser Kinderzeit- ein hölzernes Auto, etwa 50 cm lang, ein Lastauto. Hinten waren Türen zu öffnen, in dem großen Laderaum war allerhand unterzubringen. Die Räder hatten einen Durchmesser von etwa 8 Zentimeter. Mit den Rädern und dem Riesenkoffer machten wir uns auf den Weg zu Josef Kansky, dem Schmied.
Der betrachtete den Koffer lange. Dann fing er an. Er schnitt von einem langen Flacheisen zwei Längen ab. Die Enden schmiedete er rund, zur Aufnahme der Räder und einer Metallscheibe. Vor dieser Scheibe wurde ein kleines Loch gebohrt, das einen Splint aufnahm und fertig waren zwei rollbare Achsen. Wie nun die Achsen unter den Koffer bringen ?
Der Koffer hatte im rechten Winkel zu den Längsseiten in gleichen Abständen zwei halbrunde hölzerne Leisten, auf dem Deckel, den Längsseiten und unter dem Boden.
Wenn man um diese Leisten ein Viereck legt , würde dieses durch die Leisten gehalten werden. Das war´s. Die zwei Achsen wurden mit zwei weiteren Flacheisen zu einem Viereck verbunden und der Koffer darauf gestellt. Jetzt war der Koffer fahrbar.

Das Leben in Silberberg bis zur Vertreibung

Heinz war wie ein Bruder zu mir (Herbert). An allen seinen praktischen Aktivitäten beteiligte er mich. Von Vater kannte ich das nicht, der gab nur Anweisungen. Heinz beteiligte mich von seinem Gedanken bis zur Realisierung.

Beim Bauern in Herzogswalde erhielten wir für ein Paar kräftige hohe Schuhe (Skistiefel) ein Stück Butter.

Im Geschäft in Schönwalde (Schmitz ?)

An der Straßenkreuzung Schönwalde-Herzogswalde-Silberberg und dem alten Dorfweg nach Silberberg war ein Geschäft namens Schmidt oder Schmitz. Vater kannte den Inhaber von früher.
Vater, Heinz und ich besuchten das Geschäft. Während Vater sich mit Herrn Schmitz (?) unterhielt kamen zwei Russen herein und verlangten „Papier“ – „Ausweis“. Vater konnte sich ausweisen, Heinz aber nicht. Vater erklärte den Russen, der Heinz sei sein Vetter und Herr Schmitz (?) bestätigte dies, er kenne den Heinz schon seit vielen Jahren. Die Russen gaben sich damit zufrieden, Die Gefahr war vorüber.

Futter für unsere Tiere

Wir hatten Kaninchen und Hühner. Seit wann und woher?
Vater hatte uns aus Breslau von Familie Groszler (sie waren Verwalter des preußischen Königsschloßes in Breslau) ein Kaninchen mitgebracht, Hansi. Hansi bekam seinen Auslauf in einem der früheren Nerzkäfige in unserem Berg-Terrassen-Garten.

Als die Russen in Schönwalde standen, dem Dorf unterhalb von Silberberg, verließen viele Silberberger die Stadt und suchten Zuflucht im Wald in Teilen der Festung oder über den Pass hinweg in Dörfern der Grafschaft Glatz. Unsere Familie ging nach Neudorf.
Als wir wieder in Silberberg waren, entdeckte Herbert im Garten auf der zweiten Terrasse hinter den Nerzkäfigen eine Bewegung der Brennesseln. Heraus kam ein ausgewachsenes Kaninchen.
Herbert packte es und setzte es zu Hansi in den Käfig. Beide waren weibliche Tiere. Mit Hilfe des Kaninchenbocks von Heimann (Gemüsehändler) bekamen sie bald junge. Als diese groß waren hatten wir gelegentlich auch Fleisch zum Mittagstisch.

Bevor wir vor den Russen geflüchtet waren, zog Waffen SS durch Silberberg. Sie hinterließen einige Pferdewagen. Einer mit Nahrungsmitteln, wovon wir nur noch einige Säcke Gerste holen konnten und etliche Zeltbahnen. Ein Wagen enthielt einen Verschlag mit Gänsen, Enten und Hühnern. Diesen Verschlag konnten Vater und Herr Heinze in unser Haus ziehen, die Tiere wurden verteilt. Gänse und Enten waren bald von Nachbarn verspeist . Wir nahmen 5 Hühner. Nun kamen auch mal Eier auf unseren Tisch.

Ein Teil der Gerste diente als Futter für die Hühner, den Rest fuhren wir mit dem Handwagen zur Mühle in Schönwalde und ließen sie dort zu Schrot verarbeiten, als zusätzliches Futter für die Kaninchen.

Malzkaffe selbst gemacht

Gerste wurde auch in einer Pfanne gebrannt. Nachbarn beneideten uns um den Malzkaffee.

Brennholz holten wir aus dem Wald

Silberberg liegt in einem Quertal des Eulengebirges, von bewaldeten Bergen umgeben. Viel Bruchholz lag in den Wäldern, das wir als Brennmaterial holen konnten. Die ganze Familie mit Heinz ging mit unserem Handwagen zum Feldtor hinauf. Hinter dem Feldtor sammelten wir die starken Äste. Heinz hatte ein Beil und eine Säge mitgenommen. Damit befreite er die starken Äste von weiterem Astwerk und schnitt sie auf Länge. So nahmen wir nur die starken Knüppel mit. Gelegentlich verirrte sich auch mal dazwischen ein „Meterholz“ aus einem Festmeterstapel, die am Wege standen, in unseren Leiterwagen. Zurück bis zum oberen Tor unseres Gartens ging es immer bergab. Wir mußten den Wagen bremsen, nicht ziehen. Im Garten wurde das Holz auf der obersten Terrasse zerhackt und dann in einer Zeltbahn huckepack 9 Terrassen nach unten ins Haus getragen.

Deportation der Geistlichen am 21. März 1946

Geistlicher Rat Wachtel und die anderen Pfarrer des Dekanats hatten in einer an den Wojewoden gerichteten Eingabe die Bitte ausgesprochen, dafür zu sorgen, daß nicht wieder Austreibungen im Winter vorgenommen würden. Das nahm man ihnen übel. Am 21. März 1946 wurden alle Geistlichen, der katholischen als auch der evangelischen Kirche ausgewiesen. Aus der Grafschaft Glatz kam ein schon voll besetzter Lastwagen und nahm auch unseren Pfarrer Wachtel und den Pastor Rosemann mit.

Die Vertreibung am Sonnabend, 13. April 1946

Sonnabend, am 13. 4. 1946 erschien morgens eine polnische Kommission und forderte uns auf, in 30 Minuten die Wohnung zu verlassen und uns auf dem Sportplatz einzufinden.

Zum Sportplatz in Silberberg

Wir packten unseren Leiterwagen, wie schon oft geübt, nahmen noch zwei Flaschen Wasser und eine Flasche Milch mit und machten uns auf den Weg zum Sportplatz.
Wir Kinder zogen -richtiger gesagt bremsten- den Leiterwagen, denn es ging bergabwärts. Die Eltern stützen den Wagen links und rechts. Heinz nahm den rollbaren Reisekoffer.

Zu Fuß nach Frankenstein

Nachdem wir auf dem Sportplatz etwa 4 Stunden gewartet hatten, forderte man uns auf, zu Fuß die 13 Kilometer nach Frankenstein zu gehen. An der Bahnhofswiese hielt unser Vater an und verlangte von den uns begleitenden Polen einen Bauernwagen, um alte und kranke Leute zu transportieren. Nach etwa einer Stunde kam ein Pferdewagen, unser Reisekoffer diente auf dem Wagen als Sitzgelegenheit.

Erstes Lager im Hotel „Zum Elefanten“

Vater hatte irgendwelche Beschwerden, ein polnischer Arzt half ihm, er sprach auch deutsch. Vater gab dem Arzt den Koffer mit dem DIAMIX (Gerät zur Bestrahlung, U.M.) zur Aufbewahrung.

Unterbringung in der Küche

Verpflegung erhielten wir von den Polen nicht. Einige deutsche Frauen vom roten Kreuz gaben uns etwas warmen Kaffee.

Das Hotel war sehr verwahrlost, die Räume im Hotel waren alle geräumt, keine Möbel mehr. Wir wurden in der Küche untergebracht. Auch dieser Raum war leer, nur der große Küchenofen stand noch.

In Schlesien wurden die Küchenöfen mit Kohle oder Holz befeuert. Auf dem Ende der Herdplatte befand sich ein großer Wasserkasten (für heißes Wasser), hinter der Herdplatte befand sich ein gekachelter Aufbau mit einem Backrohr.

Selbstverständlich war der Ofen kalt. Der Wasserkasten war für mich groß genug, ich konnte darauf bequem sitzen, hatte eine gute Übersicht und konnte darauf auch liegen und schlafen.
Alle anderen Personen saßen mit ihrem Gepäck auf dem Boden.

Sonntag, am 14. April, unser Handwagen hat keine Räder mehr

Wir erfuhren, heute geht es zum Bahnhof.
Ich ging auf den Hof, um den Handwagen zu holen, aber der hatte keine Räder mehr. Eiligst lief ich zu Heinz, ihm dies zu berichten. Heinz war ganz gelassen, er nahm das Werkzeug mit, nahm an einem anderen Wagen die Räder ab und montierte sie an unseren Handwagen.

Wir wurden gefilzt

Das Gepäck wurde von Polen sehr sorgfältig durchsucht, gefilzt. Das dauerte sehr lange, denn es waren 1.500 Personen in den Räumen untergebracht.
Was den Polen gefiel nahmen sie mit, auch Lebensmittel. Wir hatten Glück, uns wurde nichts weggenommen (die Wertsachen waren ja auch gut versteckt).
Gegen 17 Uhr durften wir zum Bahnhof gehen, wo ein Zug mit leeren Güterwagen „Viehwaggons in denen sonst Rindviecher transportiert werden“ bereit stand.

Verladung am Bahnhof Frankenstein

Die Polen wiesen alle Personen an, in welchen „Viehwaggon“ sie zu steigen hatten, etwa 30 Personen pro Waggon.
Vater und Heinz organisierten die Verladung. Das Gepäck wurde an den Schmalseiten des Waggons gestapelt, um dazwischen für etwa 30 Personen etwas Bewegungsraum zu bekommen.
Unsere Familie rollte die Betten in Decken ein, diese Rollen dienten an einer Längsseitenhälfte –von der Schiebetür bis Waggonende- als Sitz-Rücklehnen. Nachts konnten sie als Schlafgelegenheiten ausgerollt werden. Heinz trieb zwei starke Nägel in die Wände und spannte nachts die Hängematte auf, als sein Bett.
Wir wußten, daß schon Züge, die vor uns abgegangen waren, überfallen wurden. Es wurde daher eine Sammlung für unsere polnischen Zugbegleiter veranstaltet.
Gegen 21 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung.

Männer pinkeln zur Tür hinaus

Vor der geöffneten Tür war ein Querbalken, eine kräftige Latte. Dort stehend wurden wir Anfangs schön naß, aber lernten sehr schnell mit dem Fahrtwind zu pinkeln. Der Zug fuhr zwar recht behäbig aber ein gewisser Fahrtwind entstand doch.
Großes Geschäft und für Frauen wurde auf einem Eimer hinter Decken verrichtet, welche Frauen hielten, danach der Eimer zum Fenster hinausgeschüttet (mit dem Wind).

Bei Kohlfurt ein Tag Aufenthalt auf freier Strecke an einem Kiefernwald

Wir erfuhren, der Zug wird hier über Nacht stehen bleiben. Heinz schlug vor ein Feuer zu machen und etwas zu kochen,. Jedenfalls ging Heinz mit dem Beil Holz suchen, zerkleinerte es und machte Feuer. Was gekocht wurde, weiß ich nicht mehr.
Heinz war interessiert beobachtet worden, Leute kamen und baten, ihnen das Beil auszuleihen.
Als diese jedoch zum Zerkleinern des Holzes als Hackeklotz die Eisenbahnschienen benutzten
und dabei mehrmals die Klinge des Beils auf die Schienen schlug, nahm Heinz den Leuten das Beil wieder weg.

Am nächsten Tag hielt der Zug irgendwo an. Alle Personen mußten aussteigen und wurden bestäubt, um eventuelles Ungeziefer zu vernichten. Dann fuhr der Zug weiter.

Hinter Görlitz hielt der Zug auf einer Bahnstation. Russen durchsuchten alle Waggons nach Ausländern. Der Zug fuhr dann mit kleineren Unterbrechungen bis Alversdorf.

Donnerstag, am 18. April im Lager Alversdorf (Marienborn)

Wir gingen in ein Lager, wieder Entlausungspulver in alle Öffnungen unserer Kleidung. Dann erhielten wir eine Verpflegung und Registrierung bei einem russischen Posten, anschließend bei einem englischen auf Ausweise und Devisen.
Beim russischen Posten wies sich Heinz als „Josef Kuschka“  aus. Etwa zwei Stunden später ging Heinz in Begleitung unserer Mutter und mir noch einmal durch die russische Kontrolle, dieses mal mit seinem Ausweis „Heinz Fritsch“.
Ein Russe erkannte ihn: „Du schon hier“.
Mutter erklärte dem Russen, sie war schon mit ihrem Sohn (Herbert) durch diese Kontrolle gegangen, da war Heinz Fritsch aber auf der Toilette. Der Russe sah mich (Herbert) an, strich mir über den Kopf, nickte und winkte uns dreien, weiter zu gehen, danach beim englischen Posten meldete sich Heinz als „Heinz Fritsch“ an.

Nach der Anmeldung erhielten wir einen Flüchtlings-Meldeschein, der uns nach „Schwarme“ einwies.

Weiterfahrt ? – Unser Gepäck

Nach diesen Prozeduren im Lager warteten wir auf dem Bahnhof auf einen anderen Zug zur Weiterfahrt, der aber nicht kam. Als die Dämmerung einbrach begann es zu regnen. Das Gepäck mußte nun in das Lager gebracht werden.
Neben unserem Zug stand ein Güterzug, hinter diesem war die Straße. Nun mußten wir unser Gepäck hinter diesen Güterzug zur Straße bringen. Der Zug war aber sehr lang. Wir krochen daher mit unserem Gepäck unter den Güterwaggons hindurch. Lastwagen und Autobusse brachten das Gepäck dann ins Lager. Das war sehr anstrengend. Wir waren müde und legten uns im Lager auf unser Gepäck nieder.

Am nächsten Tag morgens gegen 4 Uhr ging es wieder zum Bahnhof, wo ein Personenzug bereit stand.
Freitag, am 19. April Teilung der Vertriebenen in zwei Gruppen
a) Richtung Hannover
b) Richtung Bremen
In angehängte Güterwagen verfrachteten wir das Gepäck und fuhren nun im Personenwagen weiter. Im Zug war es sehr kalt auf den Holzbänken.
Der Transport führte uns über Braunschweig, Hannover, Osnabrück bis Syke (bei Bremen), wo wir am Karfreitag ankamen. Unterwegs haben wir in dem Personenwagen vor Kälte kaum schlafen können.

Ankunft in Syke, Karfreitag am 19. April 1946

In Syke erhielten wir eine Verpflegung – Suppe – und wurden dann auf die Ortschaften des Kreises verteilt. Wir fuhren mit der Kleinbahn nach Bruchhausen, von dort holten uns Autobusse ab nach Schwarme.

In Schwarme, Karfreitag

Auf dem Hof der „Gaststätte zur Post ?“ warteten wir auf unsere Quartiere.
In der Ecke des Hofes standen einige Männer, auch der Bürgermeister Wortmann (wie wir später erfuhren). In der Nähe lag ein Haufen Pflastersteine.
Nach etwa einer halben Stunde wollte unser Vater wissen, wie es weiter geht. Er ging auf die Männer zu. Da erhob einer davon (der Bürgermeister) einen Stein, schwang ihn über seinen Kopf, als ob er ihn werfen wollte, und schrie:
„Geht zurück Ihr Schweine! Dahin wo Ihr hergekommen seid!“
In einem Vorgarten blühte an diesem Emfangstag ein kleiner Mandelbaum, mit seinen leuchtenden rosa Blüten strahlte er etwas Tröstliches aus.

Quartier-Zuweisung

Es fuhren dann verschiedene Bauernwagen vor, einer davon nahm uns mit Gepäck auf, wir wurden bei einem Bauern „auf der Heide Nr. 114“ einquartiert.
Nachdem unsere Gepäckstücke untergebracht waren, wurden wir eingeladen.
Oma hatte Geburtstag. Der Tisch war reichlich gedeckt mit Kuchen, Torten und Schlagsahne.
Unser Vater bedankte sich. Aber das waren nicht die Speisen, für unsere verwahrlosten Mägen. Er bat zuvor um ein Stück trockenes Brot für uns.

Heinz Fritsch verläßt uns, er fährt zu seiner Familie
Am 30. April verließ uns Heinz Fritsch, er fuhr nach Bad Windsheim, wo sich seine Familie aufhielt.